Montag, 7. Juni 2010

Ärztliche Arroganz (am Beispiel eines CIRS-Falles)

Ich lese ja hin und wieder mal diese Seite. Bin da iregdnwann mal drauf gestossen und finde den CIRS-Ansatz an sich sehr gut.

Nun wird hier jedoch ein Incident beschrieben, der sich in einfachem Rettungsassistentendeutsch ungefähr so liest:

"Patient, Anfang 50, hat hyperventiliert (was er auch kennt), nach Rückatmung ist alles gut, Notarzt soll abbestellt werden. Da der Notarzt aber just eintrifft, schaut er sich den Patienten an, findet auch nichts weiter und läßt ihn da. Nachmittags geht der Patient zu seinem Hausarzt, wo er mit einem manifesten Herzinfarkt kollabiert und verstirbt."

Klar, ganz blöde Sache sowas. Natürlich fragt man sich sofort, ob morgens beim Rettungseinsatz vielleicht doch irgendwas übersehen wurde. Nochmal schnell nachgeschaut: AHA! Ein EKG wurde morgens nicht abgeleitet. Der Patient sei "grenzwertig tachycard" gewesen. Sonst alles "im Normbereich", aber genaue Werte kennt man nicht.

Mein RettAss-Gefühl sagt mir: vielleicht hätte man morgens was gefunden, den Patienten in die Klinik gebracht und ihm das Leben gerettet. Vielleicht aber auch nicht. Man weiß es nicht. Fakt ist aber: wenn ich schon einen Patienten zu Hause lasse, mache ich den Rundum-Check gründlich (und auch gründlich dokumentiert).

Und jetzt? Jetzt gehen im Anschluss an diese CIRS-Schilderung drei Kommentatoren auf den Incident ein, und alle drei stürzen sich erstmal auf die Frage, ob denn ein Rettungsassistent den Notarzt überhaupt abbestellen dürfe. Und alle drei kommen zu dem Schluss, dass ein RettAss den Notarzt *NICHT* abbestellen darf (bzw. es nicht dürfen sollte).

Die Begründung dafür ("Schließlich besteht ja ein Behandlungsvertrag mit dem Notarzt, sobald er gerufen wurde.") halte ich schon an sich für fragwürdig, aber egal, ob dem so sei oder nicht: im geschilderten Fall ist der Notarzt ja gerade *nicht* abbestellt worden sondern hat sich den Patienten selbst angeschaut. Trotzdem wurde nicht zu Ende untersucht (und so möglicherweise etwas Wichtiges übersehen).

Der Beitrag im CIRS ist also wieder einmal eines dieser Paradebeispiele für ärztliche Arroganz und Ignoranz gegenüber dem Rettungsdienstpersonal. Statt die Nachlässigkeit des eigenen Kollegen in aller Deutlichkeit herauszustellen, wird eine Frage diskutiert, die in diesem konkreten Fall nebensächlich ist (weil eben nicht zutreffend) und sogar angesichts einer klaren Aussage ("Der NA entschließt sich, die Patientin trotzdem anzuschauen") so getan, als wissen man ja gar nicht, ob der Notarzt sich den Patienten noch angeschaut hätte.

Widerlich.

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