Mittwoch, 21. Januar 2009

Gewaltige Lehrer

Angeregt durch einen Zeitungsartikel bin ich auf die Internetseite des Vereins "Lernen ohne Angst" (LOA) gestossen.

Vorweg: es ist eine dieser typischen Eltern-Inititativen-Seiten, die nur mäßig strukturiert, dafür aber sehr plakativ sind. Die Initiatoren des Vereins werden geradezu fühlbar, wie sie energiestrotzend ihre Sache verfolgen und jeden noch so kleinen Informationsschnipsel darbieten - ohne Rücksicht auf den Leser, der von der Fülle schlicht erschlagen wird. Unweigerlich beschleicht einen das Gefühl, hier selbst dann nicht gehört zu werden, wenn man gute und objektiv richtige Argumente hätte, die sich nur leider von der Sehweise des Vereins unterscheiden. Oder andersherum: Diese Seite macht einem Bilder in den Kopf von Diskussionszirkeln, in denen man sich die Köpfe heißredet, sich die schlimmsten Schauergeschichten erzählt, und jeder Teilnehmer fühlt sich berufen, kraft eigener Phantasie da immer noch eins draufzusetzen.

Dennoch: es geht um Lehrergewalt, um körperliche, psychische und seelische Mißhandlung von Schülern, sexueller Mißbrauch eingeschlossen. Und damit ist es ein sehr ernstes - und ernstzunehmendes - Thema.

Ich hatte das Glück einer weitestgehend gewaltfreien Erziehung, zu Hause wie auch in der Schule, wenngleich ich in meinem Umfeld durchaus anderes erlebt habe. Auch meine Mum hat gelegentlich gesagt, daß sie es verstehen könne, wenn einem Lehrer mal "die Hand ausrutscht", und daß sie, wäre sie selbst Lehrerin, wohl auf dem Standpunkt stünde, dann notfalls auch 200 Mark Strafe zu zahlen, aber "die Ohrfeige nimmt ihm dafür niemand wieder weg".

Was das Thema Lehrergewalt angeht, so denke ich, muß man es ein wenig abschichten.

Zuerst mal: sexueller Mißbrauch geht gar nicht, und da ist es völlig egal, ob sich das in der Schule, im Sportverein, zu Hause oder sonstwo abspielt.

Auch psychische/seelische Gewalt muß absolut tabu sein, Mobbing durch einen Lehrer führt unweigerlich zu fortgesetzem Mobbing durch Mitschüler, und das läßt sich kaum wieder einfangen - andererseits führt es aber nachweislich zu Langzeitschäden. Auch hier also absolutes No-Go.

Physische, also körperliche Gewalt betrachte ich ein wenig anders. Hier ist zu unterscheiden, ob es sich um die Affekthandlung eines über alle Maßen provozierten Lehrers handelt, oder ob der Lehrer der Ansicht ist, Probleme mit Gewalt lösen zu können. Eine Affekthandlung kann entschuldbar sein (aber immer: Einzelfallbetrachtung), während ein Lehrer, der Gewalt als Problemlösung sieht, schlicht den Beruf verfehlt hat - wie will er denn jungen Menschen beibringen, Konflikte sachlich zu lösen, wenn er es selbst nicht auf die Reihe bringt?

Wenn es jedoch um die Affekthandlung geht, halte ich als nächstes das Alter des Schülers für entscheidend, denn ein Achtjähriger ist längst nicht in der Lage, einen Lehrer so zu provozieren wie ein 16jähriger. Wo da genau die Grenze zu ziehen ist, läßt sich in der Theorie schwer sagen, ich denke jedoch, daß sie irgendwo zwischen 13 und 15 liegen dürfte. Der Lehrer, der sich von einem Viertklässler z.B. zu einer Ohrfeige im Affekt hinreissen läßt, hat defintiv versagt.

Wenn ich nun aber die berühmte Affekt-Ohrfeige des Lehrers, ausgeführt an einem 16jährigen Provokateur betrachte, spielt als nächstes die Vorgeschichte eine Rolle. Natürlich darf die Gewalthandlung nicht das erste Mittel sein; vielmehr muß eine längere Vorgeschichte zu keinem Ergebnis geführt haben.

Wer sich heute an deutschen Schulen umschaut, der hat in der Regel schnell keine Lust mehr, Lehrer zu sein. Schüler, die kommen und gehen, wie es ihnen passt, die Schule als unwürdiges Joch empfinden und nur dort auftauchen, weil sie sich mehr oder weniger gezwungen sehen, Schüler, die kaum Respekt vor Lehrern (und Eltern...) haben - und all dem gegenüber eine Lehrerschaft, der kaum Mittel zur Verfügung stehen, um aufsässige Schüler zu disziplinieren. Zumal dann, wenn auch die Eltern bereits aufgegeben oder versagt haben, wenn Eltern den Auftrag "Erziehung" ausschließlich bei der Schule sehen und sich - aus welchem Grunde auch immer - nicht um ihre Kinder kümmern können oder wollen.

Natürlich ist das Problem zum Teil auch hausgemacht, denn offenbar ist der kleinste Teil der Lehrerschaft in der Lage, den notwendigen Stoff interessant rüberzubringen und ihn gleichsam in einen Kontext zu stellen, der seine Notwendigkeit irgendwie greifbar machen könnte. Schüler, die bereits in der dritten Generation arbeitslos sind, müssen anders motiviert werden als durch "damit was aus Dir wird", denn sie wissen nichts von dem Gefühl "aus mir ist was geworden". Woher auch? Es hilft auch nicht, Wurzelziehen oder die Interpretation von Goethes Erlkönig als "notwendige Vorbereitung aufs spätere Leben" zu verkaufen, wenn man eine Klasse künftiger Frisöre, Müllwerker oder Rettungsassistenten vor sich hat, denn die brauchen diese Kenntnisse im Leben nicht.

Und Schüler, die einerseits keinen Zugang zu Fremdsprachen finden, andererseits aber auch sicher wissen, daß sie diese in ihrem späteren Leben kaum brauchen werden, resignieren einfach, wenn sie eine Fünf nach der anderen einfahren. Gleichfalls resignieren Lehrer, die täglich vor einer Horde resignierter Schüler stehen müssen, weil sie wissen, daß sie ihre Perlen vor die Säue werfen. Wenn aber in einer solchen Situation zwei Menschen, Lehrer und Schüler, aneinandergeraten, die schon beide keinen rechten Sinn mehr in der Institution Schule sehen, und wenn dann eine (gefühlte) Provokation die andere ergibt, dann ist es meiner Meinung nach ebenso verständlich wie auch entschuldbar, wenn einer der beiden irgendwann die Contenance verliert.

Aber, und das ist ausgesprochen wichtig, es geht hier um einen schon lange bestehenden Konflikt, der sich im Affekt entlädt, und ich unterstelle, daß es dem Lehrer, der plötzlich und unwillkürlich zugelangt hat, hinterher leid tut. Es geht hier um eine absolute Ausnahmesituation, in der der Lehrer seine Rolle als Lehrer verlässt und einfach nur noch "Mensch" ist - mit seinen psychischen Grenzen, hinter denen (wie bei jedem von uns) ein undefiniertes Niemandsland lauert, von dem keiner vorher sagen kann, was dort passiert.


Mein Fazit: Wenn ein Lehrer Gewalt gegen einen Schüler ausübt, muß das unbedingt umfassend aufgearbeitet werden. Der Einzelfall ist genauestens zu untersuchen, alle Einzelheiten zu klären und schließlich die Ursache des Gewaltausbruches zu erforschen. Dann kann es nur genau eines von zwei Ergebnissen geben:

Entweder handelt es sich um eine klassische Affekthandlung, nachdem gewaltfreie Lösungsversuche über einen längeren, jedenfalls angemessenen Zeitraum nicht zum Erfolg führten, d.h. der Lehrer handelt unwillkürlich, gemäß menschlicher Urkräfte und verlässt damit nachvollziehbar seine Rolle als Lehrkraft. Dann ist die Reaktion entschuldbar.

Oder aber man kommt zu dem Ergebnis, daß der Lehrer Gewalt als Möglichkeit zur Konfliktlösung betrachtet, daß er Gewalt als Mittel des Machtausdruckes sieht oder sogar Spaß daran hat, seine stärkere Stellung durch Gewalt auszudrücken. Und in diesem Fall ist das Verhalten nicht entschuldbar, sondern dieser Lehrer gehört unverzüglich aus dem Schuldienst entfernt.

Und nochmal ganz deutlich: es geht dabei um plötzlich ausbrechende, körperliche Gewalt. Alles, was psychisch/seelisch passiert, alles, was fortgesetzt passiert, und erst recht jede Form sexuellen Mißbrauches fällt von vornherein in die zweite Gruppe und kann - bei erwiesener Wahrheit freilich - nur zur Folge haben, daß die Lehrkraft ein Berufsverbot erhält.

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